Warum muss der Mensch sterben, wie kann er vielleicht doch ewig leben? Dies fragten sich auch die Mesopotamier. Das Gilgamesch-Epos gab auf diese weltbewegenden Fragen Antwort.

Gilgamesch ist ein besonderer Held, zu zwei Dritteln göttlich, zu einem Drittel menschlich. Er ist zuviel für die Bevölkerung von Uruk, seiner Heimatstadt. Die Ältesten der Stadt flehen um Erlösung. Auf Geheiss des Himmelsgottes Anu erschafft die Göttin Aruru aus Lehm einen Widerpart und Kameraden für Gilgamesch, den Wilden Enkidu.

Enkidu lebt zunächst friedlich in der Steppe, isst Gras wie die Gazellen und trinkt zusammen mit den wilden Tieren Wasser aus einer Wasserstelle. Ein Jäger ärgert sich darüber, dass Enkidu alle seine Fallen zerstört. Er erhält in Uruk den Rat, mit einer Prostituierten in die Steppe zu ziehen und dort Enkidu aufzulauern.

Als Enkidu die Prostituierte sieht, die ihre Brüste und Scham vor ihm entblösst, ist er nicht zu bremsen. Er "begattet sie sechs Tage und sieben Nächte lang." Danach will er wieder in die Steppe zu den wilden Tieren, doch die akzeptieren ihn nicht mehr als Ihresgleichen. Er kehrt mit der Prostituierten nach Uruk zurück und trifft dort auf Gilgamesch. Nach einem erbitterten Kampf, in dem keiner von beiden siegt, enden sie als Freunde.

Gilgamesch erlebt verschiedene Abenteuer zusammen mit seinem Freund. Sie ziehen gemeinsam zum Zedernwald, in dem der schreckliche Dämon Huwawa (oder Chumbaba) wacht, um heilige Zedern zu fällen und nach Uruk zu bringen. Sie überwältigen Huwawa und Enkidu rät, ihn zu töten. Für dieses Sakrileg muss er später sterben. Danach töten sie den Himmelsstier, den Ischtar gesandt hatte, weil Gilgamesch ihre Avancen mit sehr beleidigenden Worten ablehnte.

Die Götter beschliessen nun Enkidus Tod. Sein Tod verändert Gilgamesch. Er will zunächst nicht glauben, dass sein Freund nicht mehr aufstehen und herumgehen wird.

"Um Enkidu weine ich, um meinen Freund,
Wie ein Klageweib bitterlich klagend!
Du Axt an meiner Seite, so verlässlich in meiner Hand! ...
Ein böser Dämon stand auf und nahm ihn mir weg!
Mein Freund, du flüchtiger Maulesel, Wildesel des Gebirges, Panther der Steppe!
Nachdem wir, alles gemeinsam verrichtend, den Berg erstiegen,
Den Himmelsstier packten und töteten,
auch den Chumbaba umbrachten, der da wohnte im Zedernwald!
Was ist das nun für ein Schlaf, der dich gepackt hat?
Du wurdest umdüstert und hörst mich nicht mehr!"

Im Iraq beerdigt man seine Toten möglichst noch am selben Tag, durchaus verständlich bei sommerlichen Temperaturen bis 50° C im Schatten. Gilgamesch lässt seinen Freund unbestattet. Sieben Tage und sieben Nächte lang, bis ein Wurm aus seiner Nase fällt!

Da packt Gilgamesch der Schrecken. "Wird es mir nicht genauso ergehen, wenn ich sterbe?" fragt er sich. Nur ein Mensch hat ewiges Leben von den Göttern erhalten, Utnapischtim (sein Name bedeutet: "Ich habe Leben gefunden"). Gilgamesch beschliesst, Utnapischtim im Lande Maschu zu besuchen und das Geheimnis um das ewige Leben zu finden.

Er fragt die Schankwirtin Siduri nach dem Weg zu Utnapischtim. Die Schenkin Siduri rät ihm ab:

Gilgamesch, wohin eilst du? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! Als die Götter die Menschheit erschufen, setzten sie den Tod für die Menschheit fest, das Leben behielten sie in ihren eigenen Händen."
Er macht sich dennoch auf den Weg. Nach vielen Hindernissen gelangt er in die Unterwelt, überquert den Unterweltsfluss und trifft Utnapischtim. Der erzählt ihm die Geschichte der Sintflut, die einmalig in der Menschheitsgeschichte war. Er und seine Familie als einzige Überlebende erhielten ewiges Leben zugesprochen, da die Götter ihm so dankbar waren für die Opfer, die er ihnen als erstes nach der Flut darbrachte.

Dennoch vermag er Gilgamesch zu helfen. Er gibt ihm die "Pflanze des Lebens". Sie bewirkt, dass Alte wieder jung werden. Nachdem Gilgamesch zur Oberwelt zurückgekehrt und schon 50 Doppelstunden weit gelaufen ist, sinkt er müde an einer Quelle nieder, um ein Bad zu nehmen. Da kommt eine Schlange und schnappt sich die Pflanze. Sie häutet sich und verschwindet.

Gilgamesch setzt sich hin und weint. Seine Tränen rinnen über sein Gesicht. Es bleibt ihm nichts von dem erhofften ewigen Leben. Er kann nur noch dem Rat der Schenkin folgen:

"Gilgamesch, fülle deinen Bauch,
sei fröhlich bei Tag und Nacht,
lass jeden Tag ein Fest der Freude sein,
tanze und musiziere bei Tag und bei Nacht.
Ziehe ein sauberes Gewand an,
wasche dein Haar und bade in Wasser.
Blicke das Kind an, das deine Hand hält,
lass deine Frau sich an deiner Umarmung erfreuen!
Dies allein ist die Aufgabe des Menschen."
 
  Deutsche Übersetzung: Wolfram von Soden, Das Gilgamesch-Epos, Reklam-Verlag, S. 66-67.
Englische Übersetzung: E.A. Speiser, The Epic of Gilgamesh, in: James B. Pritchard, Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, 3rd edition, Princeton / New Jersey 1969, S. 72-99.