Stellen Sie sich vor, Sie sind ein mesopotamischer Verwaltungsbeamter
und werden zu Ihrem Chef zitiert:
"Schreiber Wolfgang", sagt ihr Chef zu Ihnen, "Schreiber
Wolfgang, Sie haben immer sehr gute Arbeit geleistet. Ich bin sehr zufrieden
mit Ihnen und traue eigentlich nur Ihnen zu, folgendes Problem zu lösen."
Wegen dem Lob hatten Sie sich schon stolz aufgerichtet,
aber beim letzten Satz beschlich ein seltsam beklemmendes Gefühl ihr
Herz. "Und zwar hat unser aller Chef, der lugal", ihr Vorgesetzter macht
beim Aussprechen dieses Titels, der wörtlich "großer Mann" bedeutet
und ungefähr einem König entspricht, eine bedeutungsschwere Pause
"der lugal hat beschlossen, daß bei der Aufzeichnung der Essensrationen,
die die Arbeiter erhalten, nicht nur der Wert aufgeschrieben werden soll,
sondern auch der Name der Person, die die Ration erhalten hat." Insgeheim
beschließen Sie, daß es wohl doch keine so gute Idee war, Schreiber
zu werden.
"Aber Chef ..." versuchen Sie noch zu einer Entgegnung
anzusetzen, aber ihr Vorgesetzter klopft Ihnen nur auf die Schulter, sagt
"Das schaffen Sie schon" und ist schnell aus der Tür.
Tja, da sitzen Sie nun. Sie haben bisher immer nur Gegenstände
aufgeschrieben: "Gerste", "Schaf" solche Dinge können Sie schreiben,
aber Namen ?
"Naja", denken Sie sich, "fangen wir mal mit mir an"
Und blitzschnell haben Sie die Idee, einen Wolf und einen Fuß zu
zeichnen, wobei der Fuß für "Gang" stehen soll.
Sie wollen gerade zu einem Freudentanz ansetzen, da sie
wissen, daß alle Namen in Ihrer Muttersprache, dem Sumerischen, sogenannte
"sprechende Namen" sind. Jeder Name hat, anders als in unserer Zeit, eine
eigene Bedeutung, er ist verständlich. Bei unseren heutigen Namen
ist dies nicht mehr so, nur noch in Ausnahmefällen. Beispiele sind
Gottlieb oder Wolfgang.
Schnell fällt Ihnen aber Ihre Frau ein. Diese hat
keinen sumerischen Namen, obwohl auch sie sumerisch spricht. Vielmehr stammt
die Familie Ihrer Frau aus dem Norden und gehört zu den Akkadern.
Deren Sprache ist verwandt mit dem heutigen Arabisch und Hebräisch.
Ihre Frau hat nun einen akkadischen Namen, der an sich
zwar auch sprechend ist, aber um ihn zu verstehen, müßten Sie
akkadisch können .... und damit sieht es eher schlecht aus.
Nehmen wir an, Ihre Frau heißt Helga (was kein
akkadischer Name ist). Sie grübeln hin und her, wie so ein Name zu
schreiben ist, und plötzlich haben Sie eine Idee. Eine Idee, die Sie,
wenn Sie dafür gesorgt hätten, daß Ihr Name bekannt bleibt,
sicher für alle Zeiten berühmt gemacht hätte.
Sie nehmen den Namen auseinander und finden, daß
"Hel" so klingt wie das Wort "hell", welches sie kurzerhand durch eine
Sonne darstellen. Für "ga" fällt Ihnen noch nichts ein, später
würden Sie eventuell ein Auto der Marke Ford zeichnen, welches auf
den Namen "Ka" hört. Aber Sie erkennen spontan, daß sich auf
die Art auch "Helmut" schreiben läßt.
Das Prinzip, welches sie erfunden haben, besteht einfach
daraus, ein Wort, welches sie nicht schreiben können, zu zerlegen.
Die Teile, oder Silben, ordnen sie dann nach ihrem Klang ähnlichen
Wörtern zu, für die es ein Zeichen gibt.
Im Sumerischen, Ihrer Muttersprache, ist dies sehr einfach,
denn diese Sprache hat sehr viele kurze Wörter.
Zum Beispiel heißt "Tür" auf Sumerisch "ig",
"Milch" heißt "ga" und die Tontafel, auf die Sie gerade schreiben,
heißt "dub"
Da die kurzen Wörter gebraucht werden, um die Silben
des längeren Wortes zu schreiben, heißt diese Art von Schrift
"Silbenschrift".
Bevor Sie Ihre tolle Entdeckung gemacht haben, konnten
nur einzelne Worte geschrieben werden, daß heißt, Sie haben
eine "Wortschrift" verwendet.
Auch heute gibt es noch Wort- und auch Silbenschriften.
Die klassische chinesische Schrift ist zum Beispiel eine reine Wortschrift.
Die meisten Sprachen werden heute jedoch mit "Alphabetschriften"
geschrieben. Dabei steht ein Zeichen für einen einzelnen Laut, zum
Beispiel "b" oder "u".
Die Zahl der einzelnen Laute ist recht begrenzt, weshalb
uns 26 Buchstaben ausreichen. Verschiedene Silben gibt es aber mehr, und
so müssen Sie mehrere hundert Zeichen lernen.
Natürlich haben Sie nicht vor, Ihr bisher erworbenes
Wissen über das Schreiben zu vergessen. Sie werden weiterhin Ihre
Wortzeichen verwenden, und nur, wenn es nicht anders geht, auf die Silbenschrift
zurückgreifen.
Die Ihnen nachfolgenden Schreiber werden es zwar ein
wenig anders machen, aber insgesamt wird die Keilschrift bis zum Schluß
keine reine Silbenschrift werden. Immer werden auch die Wortzeichen verwendet
werden, die schon Jahrtausende vorher in Gebrauch waren.
Die Erfindung der Silbenschreibweise erlaubt aber nicht
nur die schriftliche Aufzeichnung von fremdsprachigen Personennamen. Vielmehr
können nun auch grammatische Elemente notiert werden. So könnte
man die Wortverbindung "der Ast des Baumes" mit einer reinen Wortschrift
nur unzureichend aufschreiben, da das letzte Wort "Baumes" ein grammatisches
Element, nämlich die Genitivendung "-es" enthält. Durch die Silbenschrift
wird nun das Zeichen für das Wort "es" angehängt.
Die sumerische Sprache hat dabei eine Struktur, die dieses
Prinzip sehr unterstützt. Wenn Sie mehr über dieses Thema erfahren
möchten, also die Sprache Sumerisch, dann schauen Sie immer mal wieder
vorbei. Informationen dazu werden vorbereitet.
Zurück zu "Sie schrieben
auf Ton"
|