Reisen im Alten Orient |
Ein
sumerisches Sprichwort lautet: „Bier - das ist was Gutes! Reisen - das
ist was Schlechtes!“ Heute ein selbstverständlicher Luxus, war
Reisen im Alten Orient eine unangenehme Notwendigkeit. |
"Mein Herr
soll nicht auf Pferden reiten..." |
Wie, warum und
wohin reisten Sumerer, Babylonier und Assyrer? |
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PD
Dr. Michael P. Streck
Mit freundlicher Genehmigung von DAMALS
- Das aktuelle Magazin für Geschichte und Kultur
erschienen in Heft 7/2000 S. 74-79
Die Klage des babylonischen Hiobs
„Vergessen haben meine Füße das Laufen“ war ernst, denn er war
des wichtigsten Verkehrsmittels zu Lande beraubt. Allerdings wußte
man schon seit prähistorischer Zeit auch die Tierkraft zu nutzen.
Das bedeutendste Last- und Reittier war der Esel. Er konnte 90 kg Last
tragen und legte dabei 25 km täglich zurück. Im 1. Jahrtausend
v. Chr. kam das genügsame und ausdauernde Dromedar auf. Es erschloss
vor allem die trockeneren Regionen der arabischen Halbinsel. Das Pferd
galt noch um 1700 v. Chr. als landesuntypisch, weshalb ein Minister dem
König von Mari von seiner Benutzung abriet: „Mein Herr soll nicht
auf Pferden reiten, sondern auf einem Wagen mit Maultieren fahren.“ Später
wurde das schnelle Pferd für Kurierdienste eingesetzt, und in neuassyrischer
Zeit (900-600 v. Chr.) enstand eine regelrechte Kavallerie, die allerdings
noch keinen Sattel, sondern nur Pferdedecken kannte.
Ebenfalls vor allem militärisch
gebraucht wurden zwei- oder vierrädrige Wagen, die zunächst schwerfällige
Scheibenräder und ab 1500 v. Chr. Speichenräder besaßen.
Für schwere Lasten zu Lande wie z. B. die 20 Tonnen wiegenden Torstiere
auf den Reliefs des assyrischen Königs Sanherib (704-681 v. Chr.)
waren jedoch Schlitten geeigneter.
Gepflasterte Straßen
befanden sich nur in den großen Städten und in deren unmittelbarer
Nähe. Auf dem Land gab es lediglich jahrtausendealte Pisten, die allenfalls
an schwierigen Stellen befestigt waren. Das größte Hindernis
stellten die Flüsse dar. Man überquerte sie an Furten oder setzte
mit Hilfe von Booten oder aufgeblasenen Tierhäuten über. Bei
den reißenden Gebirgsbächen waren dagegen Holzbrücken unumgänglich.
Ein neuassyrischer Brief berichtet von den logistischen Problemen der über
den Antitaurus gegen Assyrien ziehenden urartäischen Armee: „Sie reparieren
die Straßen, die in meine Richtung laufen, und schlagen Brücken“. |
Nicht von Pferden,
son-
dern von Eseln wird
dieser vierrädrige
Streit-
wagen gezogen (Ab-
bildung auf der soge-
nannten Standarte von
Ur, um 2500 v. Chr.) |
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Selbst bei den Griechen (Herodot, Diodor)
berühmt war die von Nebukadnezar II. (604-562 v. Chr.) erbaute Euphratbrücke
in Babylon. Sie war 123 Meter lang und ruhte auf Steinpfeilern, über
die Balken gelegt waren.
Die im 1. Jahrtausend v.
Chr. über Mesopotamien herrschenden Großreiche der Assyrer,
Babylonier und Perser benötigten für eine effektive Kommunikation
mit ihren von den Hauptstädten weit entfernten Provinzen und schnelle
Truppenbewegungen ein gut organisiertes Straßennetz. So entstanden
die „Königsstraßen“, sozusagen die Autobahnen jener Zeit. Ihre
Spezialität waren die etwa alle 30 Kilometer angelegten Relaisstationen.
Diese hielten für die königliche Expresspost frische Reittiere
und Wagengespanne bereit, so daß die Boten sofort umsteigen konnten.
Ein Brief des assyrischen Königs Sargon II. (721-705 v. Chr.) ordnet
zur Versorgung einer solchen Station an: „Der Ort Hesa, eine meiner Poststationen,
hat keine Leute. Der Postmeister und der Garnisonsbefehlshaber sind dort
allein und können sie nicht versorgen. Nun will ich insgesamt 30 Familien
zusammenbringen und dort ansiedeln.“ Herbergen und Karawanseraien gab es
natürlich auch an den anderen Straßen. So berichtet z. B. der
Schreiber eines Briefes aus altassyrischer Zeit (um 1800 v. Chr.): „Ich
bezahlte ein dreiviertel Sekel Zinn für die Unterkunft in einer Herberge
außerhalb von Razawa.“
In Mesopotamien, dem
„Land zwischen den Strömen“, wurden Wasserwege den Landverbindungen
oft vorgezogen. Besonders im babylonischen Südteil, dem Schwemmland
von Euphrat und Tigris, war das Land häufig unpassierbar; nicht zufällig
ist ja hier die Sintfluterzählung entstanden. |
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Ein neubabylonischer Brief (ca.
600-500 v. Chr.) nennt die Alternativen: „Wenn der Boden gut ist, sollen
sie zu Fuß kommen. Sonst sollen sie mit dem Schiff kommen.“ Vor allem
zwei Bootstypen, die noch im vergangenen Jahrhundert im Irak beobachtet
werden konnten, bestritten den Binnenverkehr. Das Kelek bestand aus aufgeblasenen
Ziegenhäuten, über denen ein Holzgestell lag. |
Ein gerudertes Floß
aus Baumstämmen,
darauf eine aufge-
blasene Schwimmhaut
(um 700 v. Chr.) |
Die Guffa war ein runder
Korb aus Weidenruten oder den Rippen einer Dattelpalme von etwa zwei Meter
Durchmesser. Sie war mit Asphalt abgedichtet und wurde wie das Kelek mit
Hilfe von Rudern und Stakstangen bewegt. |
Beide Bootstypen waren allerdings
nur beschränkt steuerbar und besonders bei starker Strömung nur
schwer zu handhaben. Ein neuassyrischer Brief erinnert den König daran:
„Das Terrain ist schwierig; es liegt zwischen Bergen, das Wasser ist (dort)
eingeengt und die Strömung stark, so daß sie weder für
Schläuche noch Keleks geeignet ist. Der König, mein Herr, weiß,
daß die Leute nicht schwimmen können.“
Neben Kelek und Guffa kannte
man auch hölzerne Kähne, die teilweise sogar Segel besaßen.
Oft war man für Fahrten stromaufwärts jedoch auf das mühevolle
Treideln, d. h. das Ziehen des Schiffes vom Ufer aus, angewiesen.
Daß der Verkehr auf den Flüssen
sehr dicht gewesen sein muß, zeigt eine Bestimmung im Gesetzbuch
des Königs Hammurapi von Babylon (ca. 1700 v. Chr.), wo der Fall einer
Schiffskollision behandelt wird. Nach dieser Bestimmung hatte ein flußabwärtstreibendes
Boot Vorfahrt vor einem flußaufwärts geruderten, getreideltem
oder gesegeltem. Auch andere Bestimmungen des Kodex Hammurapi weisen auf
die große Bedeutung der Binnenschiffahrt für Mesopotamien
hin; geregelt werden die Vergütung für das Abdichten eines
Bootes, die Haftung eines Schiffers für ein gemietetes Boot und dessen
Ladung sowie die Höhe der Schiffsmiete.
Während die Flüsse einen
prägenden Bestandteil im Leben der Mesopotamier bildeten, war ihnen
die See wenig vertraut. Im ausgehenden 3. und zu Beginn des 2. Jahrtausends
v. Chr. bestanden Handelsbeziehungen mit dem persischen Golf und
dem indischen Ozean. Zwar hat Thor Heyerdahl durch seine Expedition mit
dem Schilfboot „Tigris“ gezeigt, daß durchgängige Fahrten von
Babylonien bis zum Gebiet der Industalkultur technisch möglich gewesen
wären, doch dürfte der Handel in der Regel von den Insel- und
Küstenbewohnern über mehrere Zwischenstationen abgewickelt worden
sein. An der Ostküste des Mittelmeeres entstand am Ende des 2. Jahrtausends
mit den Phönikern eine Seefahrernation, deren Reputation auch die
Assyrer erreichte. Sanherib engagierte sie für den Bau und die Führung
einer Kriegsflotte, um im nördlichen persischen Golf gegen die Elamiter
zu operieren.
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In neuassyrischer
Zeit entstand eine
regelrechte Kavallerie.
Statt eines Sattels
verwendeten die Rei-
ter eine Decke, wie auf
der Darstellung links
gut zu erkennen ist. |
Nur vereinzelt sind Nachrichten
über die Reisegeschwindigkeit erhalten. Für die über die
syrische Wüstensteppe führende Strecke von Mari nach Qatna (ca.
350 km) veranschlagt ein altbabylonischer Brief zehn Tage. Für die
von Assur über den Taurus nach dem kleinasiatischen Kanesch (ca. 775
Kilometer) ziehenden Eselskarawanen der altassyrischen Epoche rechnet
man mit etwa zwei Monate Reisezeit. Das Treideln eines Schiffes über
die 137 Kilometer von Lagasch nach Nippur in Babylonien dauerte gar 17
Tage.
Mannigfaltig waren die Gefahren,
die dem Reisenden drohten. Überfälle von Nomaden und Räubern
waren an der Tagesordnung. In einem Brief des babylonischen Königs
Burnaburijasch (ca. 1349-1323 v. Chr.) an den ägyptischen Pharao heißt
es: „Schumadda und Schutana haben ihre Leute gesandt, meine Kaufleute ermordet
und ihr Geld weggenommen ... Wenn du diese Männer nicht tötest,
werden sie wieder morden, sei es meine Karawane oder deine Boten, und der
Botenverkehr zwischen uns wird erliegen“. |
Eine altassyrische Beschwörung
handelt von einen „schwarzen Hund“, wohl einem Wolf: „Ein schwarzer Hund
hockt auf dem Hügel und wartet auf die zerstreute Karawane. Seine
Augen halten nach einem guten Mann Ausschau.“ Ein Brief aus gleicher Zeit
spricht die Witterungsverhältnisse an: „Der Winter brach über
uns herein, die Eselskarawane litt Hunger, aber deine Warenladung und deine
Esel sind unversehrt.“
Der beste Schutz gegen diese Gefahren
war das Reisen in der Gruppe oder Karawane. Der Rat eines altbabylonischen
Briefes „Laß ihn sich einer Karawane anschließen“ wurde sicher
gerne angenommen. Gruppen von 10-15, vereinzelt aber auch 50, 200 oder
gar 3000 Eseln sind bezeugt. Im 8. Jahrhundert v. Chr. langte eine aus
Saba in Südarabien kommende Karawane mit 200 Kamelen am mittleren
Euphrat an. Selbst Boten in diplomatischer Mission aus verschiedenen Städten
reisten lieber zusammen, wie aus einem Brief aus Mari zu ersehen ist: „Eine
Reisegesellschaft von Boten aus Babylon, Eschnunna, Ekallatum, Karana,
Qabra und Arrapha, die auf dem Weg nach Aleppo, Qatna, Hasor ... sind,
sind hier angekommen.“ Einige wenige erhaltene Wegbeschreibungen, sogenannte
„Itinerare“, und Landkarten auf Tontafeln zeigen, wie man sich bisweilen
in unbekanntem Gelände die Orientierung erleichtert haben mag. Normalerweise
vertraute man sich jedoch einem ortskundigen Karawanenführer an.
Warum setzte man sich überhaupt
der Gefahr und der Unbequemlichkeit des Reisens aus? Der von Fernweh erfüllte
oder bildungshungrige Tourist ist im Alten Orient ein Anachronismus. Vielmehr
stehen praktische Gründe im Vordergrund.
Der vermutlich stärkste Motor
für Reisen war die Rohstoffarmut Mesopotamiens. Sie zwang zum Aufbau
weitreichender Handelsbeziehungen. König Sargon (ca. 2250 v. Chr.)
rühmt sich, er habe Schiffe aus dem Industal, Oman und Bahrain am
Kai seiner Hauptstadt Akkade anlegen lassen; sie brachten Karneol, Lapislazuli,
Edelhölzer und Kupfer ins Land. Aus dem Libanon wurden zu allen Zeiten
Nadelhölzer für Großbauten nach Mesopotamien verbracht.
Kleinasien lieferte Silber und erhielt dafür Zinn und Textilien. Aus
Ägypten kamen in mittelbabylonischer Zeit (ca. 1400-1200 v. Chr.)
Gold und Edelsteine.
Ein weiterer Motor war die Diplomatie
zwischen den politischen Zentren. So wurde z. B. die Reise des Königs
Zimrilim von Mari (ca. 1700 v. Chr.) in die nordsyrische Hafenstadt Ugarit
aus einer ganzen Textgruppe rekonstruiert. Der König führte in
seinem Gefolge nicht nur mehrere hohe Würdenträger seines Reiches,
sondern auch eine seiner Frauen und eine Reihe von Goldschmieden mit, so
wie auch heute noch Präsidenten und Kanzler von Gattinen, Ministern
und Repräsentanten der Wirtschaft begleitet werden. Unterschiedlich
ist allerdings die Reisedauer: Zimrilim war fast fünf Monate von seiner
Hauptstadt abwesend!
Das Gegenstück zur diplomatischen
Mission ist die militärische Expedition. Besonders die Assyrer berichteten
ausführlich über ihre Kriegszüge, wobei sie eindrucksvoll
die fremden Landschaften schildern konnten. In dieser Hinsicht berühmt
geworden ist der Bericht von Sargons achtem Feldzug, den er im Jahre 714
v. Chr. gegen den mächtigen nördlichen Nachbarn Urartu unternahm.
Der Weg führte ihn in unwegsame Gebirge: „Der Simirria, ein hoher
Berggipfel, der wie eine Speerklinge aufragt ... und wo es wie auf dem
Rücken eines Fisches von einer Seite zur anderen keinen Marschweg
gibt ..., in dessen Flanken Wasserläufe und Gebirgswadis tief eingeschnitten
sind ... ungeeignet für das Hinauffahren von Streitwagen und den ungestümen
Vorwärtsdrang der Pferde und (selbst) für Infanteristen schwer
zu begehen ... Ich habe meine Pioniere schwere Bronzehacken tragen lassen,
und sie zerschlugen eine spitze Felsnadel wie Kalkstein und stellten so
einen guten Weg her.“
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Auf der neubabylo-
nischen "Mappa mundi"
oben steht Mesopotamien
als Scheibe im Zentrum
der Welt; der Balken
in
der Mitte ist der Euphrat.
Links und unten noch
ein-
mal "Reisen aus militärischen
Beweggründen: links ein
zweirädriger Streitwagen
aus der Zeit des Assurbanipal,
auf dem Bild unten verteidigen
sich zwei Araber auf
einem
Dromedar gegen assyrische
Infanterie. |
Auch Pilgerreisen wurden durchgeführt.
Im Krankheitsfall reiste man zur Heilgöttin Gula nach Isin in Babylonien,
so wie man viel später in griechischer Zeit bei Asklepios in Kos und
Epidauros Heilung suchte: “Ninurta-sagentarbi-zaemen, der von einem Hund
gebissen worden war, ging nach Isin, der Stadt der Heilgöttin. Amel-bau,
ein Einwohner Isins und Priester der Gula, untersuchte ihn, rezitierte
eine Beschwörung für ihn und heilte ihn.“ Aber nicht nur besuchten
Menschen die Götter, sondern auch untereinander wollten sich die Götter
ab und zu sehen. In einem sumerischen Mythos reist der Mondgott von Ur
zu seinen göttlichen Eltern nach Nippur. Solche Götterreisen
wurden in der irdischen Welt nachvollzogen, indem Prozessionen mit Götterstatuen
von einem Kultort zum anderen zogen.
Schließlich gab es Reisen
aus mehr privatem Anlaß. Eine Sklavin schrieb ihrem Herrn: „Was ich
dir gegenüber angedeutet hatte, hat sich nun ereignet: Seit sieben
Monaten war das Kind in meinem Körper gewesen, doch nun ist das Kind
seit einem Monat tot und niemand will sich mehr um mich kümmern ...
Komm und besuche mich und lass mich das Angesicht meines Herrn sehen!“
Offensichtlich wollte die Sklavin erneut schwanger werden, um sich die
Gunst ihres Herrn zu erhalten.
Haben Reisen das Weltbild des Alten
Orients geformt? Das Industal im Osten, Südarabien im Süden,
Äthiopien und Ägypten im Südwesten, Kreta im Westen und
Kleinasien sowie Armenien im Norden stecken die maximalen Grenzen altmesopotamischer
Welter-fahrung ab. Die berühmte neubabylonische „Mappa mundi“ auf
einer Tontafel stellt Mesopotamien als Scheibe im Zentrum dieser Welt dar.
Der senkrechte inmitten der Scheibe verlaufende Balken ist der Euphrat.
Der obere waagerechte Balken steht für Babylon im Zentrum der
Welt. Kleine Ovale und der untere waagerechte Balken bezeichnen weitere
Städte, Regionen und Landschaften, z. B. Assur, Urartu, Gebirge
und Sumpf. Die Scheibe ist von einem Ring, dem Bittermeer, umgeben. Ursprünglich
acht, jetzt zum Großteil leider zerstörte, von diesem Meer ausgehende
Zacken bezeichnet die Karte als „Inseln“. Der nördliche Zacken enthält
die Beischrift „wo die Sonne nicht zu sehen ist“, wohl ein Hinweis auf
die von Mesopotamien aus nie am nördlichen Horizont stehende Sonne.
Die Rückseite der Tafel enthält eine stark zerstörte Beschreibung
der anderen „Inseln“; die dritte ist der „Ort, den Vögel nicht erreichen
können“, die siebte die „Heimstatt des gehörnten Viehs“ und die
achte der Ort des Sonnenaufgangs. Das Bild des vom Meer umflossenen Kontinents
findet sich später in der Klassischen Antike bei Anaximander und Strabo
wieder.
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Lediglich ein einziger Reisender
des Alten Orients überschritt die Grenzen der bekannten Welt. Allerdings
war sein Reiseziel auch nicht weniger als das ewige Leben. Gemeint ist
Gilgamesch, der dem berühmtesten Literaturwerk des Alten Orients,
dem Gilgameschepos, den Namen gegeben hat. Grundgerüst dieses Epos
ist eine Reise über ferne Gebirge und Meere bis hin zu den „Weltufern“.
Reisegrund war die Erkenntnis, daß „der Menschheit Tage gezählt
sind“ und nur der Nachruhm Unsterblichkeit sichert.
Mit seinem Freund Enkidu brach
Gilgamesch in das Zedernland, den Libanon, auf, um das dort lebende Monster
Humbaba zu erschlagen, eine Zeder zu fällen und sich so „einen Namen
zu machen“. Die Helden legten in nur drei Tagen eine Strecke von 150 Doppelstunden,
ca. 1650 Kilometer, zurück, die sonst „eineinhalb Monate“ dauerte.
Nach fünf solchen Strecken
erreichten sie das Ziel, erschlugen den Humbaba, fällten die Zeder
und kehrten nach Hause zurück. Gilgameschs Ruhm entflammte die Göttin
Ischtar für ihn, doch Gilgamesch verschmähte sie. Aus Rache tötete
die Göttin seinen Freund Enkidu. |
Erneut mit dem Tod konfrontiert, ergriff
Gilgamesch wieder den Reisestab, diesmal allein. Er kam zu den fernen Bergen
von Maschu, wo ewige Finsternis herrscht. Nachdem er sie durchquert hatte,
gelangte er in einen paradiesischen Edelsteingarten und schließlich
an ein großes Hindernis, das Meer. Eine dort lebende Schenkin warnte
ihn: „Noch nie hat es, Gilgamesch, je eine Überfahrt gegeben, und
seit ewigen Zeiten niemanden, der über das Meer hat setzen können.
Nur der heldenhafte Sonnengott überquert den Ozean. Außer dem
Sonnengott, wer könnte über das Meer setzen? Die Überfahrt
ist beschwerlich, ganz schwierig der Weg hinüber. Dazwischen liegen
zudem noch die Wasser des Todes, die an der Weiterfahrt hindern. Hast du,
Gilgamesch, das Meer überfahren, wenn du dann zu den Wassern des Todes
gelangt bist, was willst du dann tun?“ Doch Gilgamesch fand einen Fährmann.
Zwölf Stakstangen verbrauchten sie und legten dabei 120 Doppelstunden,
ca., 1320 Kilometer, zurück. Dann mußten ihre Kleider als Segel
herhalten.
Die Überfahrt glückte
und Gilgamesch traf den „an der Mündung der Flüsse“ sitzenden
Utnapischti, den babylonischen Noah. Dieser erzählte ihm, wie er die
Sintflut in der Arche überlebt und von den Göttern die Unsterblichkeit
erlangt hatte. Er wies dem Gilgamesch den Weg zu dem ewige Jugend verleihenden
Kraut. Gilgamesch konnte es zwar pflücken, doch auf der Heimreise
passierte das Mißgeschick: Während sich Gilgamesch beim Nachtlager
an einem Brunnen wusch, stahl eine Schlange das wohlriechende Kraut. So
verlor Gilgamesch die soeben gewonnene Unsterblichkeit wieder. Was ihm
blieb, war der bis heute andauernde Ruhm des außerordentlichen Reisenden,
eines Mannes, der „ferne Wege gegangen“, „Geheimes gesehen, Verborgenes
geöffnet“, ja „die Fundamente des Landes geschaut“ hatte. |