"Ägypten
liegt nicht in der Nähe" |
Wie verkehrte
der Pharao mit seinen "Kollegen" im Vorderen Orient? Welchem diplomatischen
Ritual mußten sich seine Gesandten unterziehen? |
Diplomatie vor 3500 Jahren |
Dank
des Archivs, das in el-Amarna gefunden wurde, lassen sich diese Fragen
erstaunlich genau beantworten |
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PD
Dr. Michael P. Streck
Mit freundlicher Genehmigung von DAMALS
- Das aktuelle Magazin für Geschichte und Kultur
erschienen in Heft 10/2000 S. 28 - 34
Angetan mit seinem prächtigsten
Leinengewand und seinen besten Sandalen, folgten Haja, der ägyptische
Gesandte, und acht schwer beladene ägyptische Sklaven dem königlichen
Mundschenk über den Hof des babylonischen Palastes in Durkurigalzu.
Am Abend vorher war Haja benachrichtigt worden, seine Majestät Burnaburiasch,
König von Babylonien – drei Jahrtausende später würden Altorientalisten
ihn den II. nennen und auf 1359-1333 v. Chr. datieren – wünsche ihn
am nächsten Morgen pünktlich zur zweiten Doppelstunde nach Sonnenaufgang
bei der Audienz zu empfangen. Zwei Wochen, seit er aus Ägypten mit
seiner Karawane angekommen war, hatte Haja auf diesen Augenblick gewartet.
Immer wieder hatte es geheißen, seine Majestät sei krank, weshalb
die tägliche Audienz heute leider ausfalle. Haja hatte die Zeit genutzt
und zusammen mit den Palastschreibern an seinem Babylonisch und an seinen
Keilschriftkenntnissen, die er beide bereits in Achetaten in Ägypten
erworben hatte, gefeilt, während die Sklaven auf seine und auf eigene
Rechnung Geschäfte getrieben hatten: Gold, Elfenbein und Ebenholz
aus Ägypten gegen Lapislazuli und Pferde.
Nun war es also so weit. Durch
eine kleine Tür, neben der links und rechts ein Leibwächter stand,
traten sie vom Hof in den Vorsaal, in dem emsiges Treiben herrschte. Sklavinnen
schöpften aus großen Krügen kühles Wasser in milchig-grüne
Glasgefäße, dieser neuesten technologischen Errungenschaft des
Zweistromlandes. Schreibergehilfen kneteten Ton zu Tafeln. In der Ecke
wartete ein gerade eingetroffener Bote des Königs von Mittanni darauf,
von Burnaburiasch gehört zu werden. Der Mundschenk, Haja und die Sklaven
durchquerten den Vorraum und gelangten durch eine Tür an der gegenüberliegenden
Seite in den mit prächtigen, bunten Wandgemälden verzierten Audienzsaal.
Burnaburiasch saß auf seinem Thron, mit einem schlichten, weißen,
kurzärmligen Gewand und einem weißen Fez bekleidet, umgeben
vom Wesir, seinem Leibarzt und verschiedenen Würdenträgern seines
Reiches sowie von mehreren Dienern, die die in den Sommermonaten schon
früh am morgen aufsteigende Tageshitze durch rhytmisches Fächeln
zu lindern suchten. Haja erkannte links vom König Salmu, der schon
mehrfach als babylonischer Gesandter in Ägypten gewesen war. Der Mundschenk
meldete den ägyptische Boten, worauf sich das Antlitz Burnaburiaschs
verfinsterte und das gedämpfte Murmeln im Saal erstarb.
Während die Sklaven mit ihrer
Last ehrerbietig am Eingang stehen blieben, trat Haja einige Schritte vor,
kniete nieder und berührte mit der Stirn den Boden, wie es das Hofzeremoniell
erforderte. Auf ein Zeichen des Königs erhob sich Haja, räusperte
sich und setzte in gutem, aber mit ägyptischem Akzent ausgesprochenen
Babylonisch zur förmlichen Grußadresse an: „So spricht Napchurureja“
– wir kennen ihn heute besser als Amenophis IV./Echnaton, 1353-1335 v.
Chr. – „der große König, der König von Ägypten, Dein
Bruder: Mir geht es in jeder Hinsicht gut. Möge es Dir in jeder Hinsicht
gut gehen. Deinem Haus, Deinen Frauen, Deinen Söhnen, Deinen Magnaten,
Deinen Pferden, Deinen Wagen, allen Deinen Ländern möge es in
jeder Hinsicht sehr gut gehen. Mir geht es in jeder Hinsicht gut. Meinem
Haus, meinen Frauen, meinen Söhnen, meinen Magnaten, meinen Pferden,
meinen zahlreichen Truppen, allen geht es gut, und meinen Ländern
geht es in jeder Hinsicht sehr gut“.
An dieser Stelle schnitt ihm jedoch
Burnaburiasch, dessen Gesichtsausdruck sich noch immer nicht aufgehellt
hatte, barsch das Wort ab: „Hat dein König nicht gehört, daß
ich krank bin? Warum hat er sich nicht um mich gesorgt? Warum hat er keinen
Boten kommen und mich besuchen lassen?“ Haja war verdutzt. Er hätte
auflachen mögen, doch er zwang sich, ernst zu bleiben, und antwortete
mit fester Stimme: „Ägypten liegt nicht in der Nähe, so daß
mein König davon hätte hören und Eurer Majestät Genesungswünsche
schicken können. Würde denn mein König, wenn er hören
würde, daß Eure Majestät krank ist, keinen Boten senden?“
Burnaburiasch – offensichtlich immer noch schmerzgeplagt, denn er griff
sich dauernd an die Magengegend – schüttelte den Kopf: „Für deinen
König, einen mächtigen Herrscher, soll es tatsächlich weit
entfernte und nah gelegene Länder geben?“ Haja blickte hilfesuchend
um sich. Dann kam ihm die rettende Idee: „Eure Majestät mögen
Ihren eigenen Gesandten fragen, ob Ägypten weit entfernt liegt und
ob mein König deshalb nichts von Eurer Majestät gehört und
Euch keinen Boten geschickt hat.“ |
Echnaton
um 1352-1338 v.Chr.
Seinen Namen Amen-
ophis (IV.), der den
Namen des von ihm
abgelehnten Gottes
Amun enthielt, legte
er ab. |
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Burnaburiasch leuchtete diese Antwort
ein. Er wandte sich an Salmu, der es sichtlich genoss, plötzlich im
Mittelpunkt zu stehen und vor dem ganzen Hofe seine geographischen Kenntnisse
und Reiserfahrungen ausbreiten zu dürfen. Salmu skizzierte die übliche
Karawanenroute zwischen Mesopotamien und Ägypten: den Euphrat aufwärts,
an den Ruinen von Mari vorbei, dann scharf nach Südwesten abbiegend
durch die syrische Wüstensteppe bis zur Oase Palmyra. Von dort entweder
über eine nördliche Route nach Qatna und weiter bis ans Mittelmeer,
von wo aus man zu Lande und zu Wasser nach Süden reisen konnte; oder,
häufiger begangen, eine südlichere Route, die im mittelsyrischen
Ackerland auf die von Aleppo über Hama nach Damaskus führende
Straße stieß. In Palästina nannte man diese Straße,
deren Endpunkt das Nildelta war, den „Horusweg“ der Pharaonen.
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Horus
Er war der Himmelsgott
in Falkengestalt, seine Augen waren
die Sonne und der Mond.
Aus dem Deltagebiet verbreitete
sich der Kult bereits
in vorgeschichtlicher Zeit in ganz Ägypten.
Als Himmelsgott, der
mit seinen Flügeln den Himmel
überspannt, verband
sich Horus/Harachte mit dem Sonnengott
Re (hier als Schutzamulett
des Tutanchamun). Auch konnte er
verschiedene Gestalten
annehmen, etwa die einer geflügelten
Sonnenscheibe. Nach der
Vereinigung Ägyptens zu einem
Reich wurde die Vorstellung,
der regierende König sei die
Inkarnation des Horus,
allgemein akzeptiertes Dogma und
"Horus" Teil des jeweiligen
königlichen Namens.
Der "Horusweg" zwischen
Mesopotamien und Ägypten nimmt
darauf Bezug.
Es ist ein königlicher
Weg - der Weg des Pharaos. |
Mit Eseln oder Maultieren würde
eine solche Reise drei lange Monate dauern! Jetzt, in den Sommermonaten,
sei es zudem heiß, und über weite Strecken gebe es zu wenig
Wasserstellen. Dabei seien die durch Überfälle von räuberischen
Sutäern und diversen Lokalfürsten verursachten Aufenthalte noch
gar nicht eingerechnet. Habe der König denn schon die Affäre
seiner von den Leuten von Akko – im ägyptischen Hoheitsgebiet! – überfallenen
Kaufleute vergessen? Ausgeplündert und getötet seien sie worden,
nachdem sich der babylonische Gesandte Achutabu, mit dem sie zunächst
zusammen gereist waren, von ihnen getrennt hatte, um nach Ägypten
zu ziehen. |
Und ihm selber, Salmu, sei es trotz
diplomatischer Immunität und einem Sendschreiben an die Fürsten
von Kanaan, das ihm eine sichere Durchreise gewähren sollte, nicht
viel besser gegangen. Zweimal sei er auf dem Wege nach Ägypten ausgeraubt
worden!
Burnaburiasch hörte Salmu
interessiert zu und sein Gesicht entspannte sich. Jetzt blickte er schon
milder auf die ägyptische Gesandtschaft. Er war begierig, die Geschenke
zu sehen, die ihm sein „Bruder“ Echnaton hatte bringen lassen. Haja ließ
einen Sklaven nach dem anderen vortreten und breitete vor dem
Thron die Schätze aus: da
waren ein Bett, eine Kopfstütze und zwei Stühle aus Ebenholz,
mit Elfenbein und Gold überzogen; Goldmesser, deren Griffe mit
Granatäpfeln besetzt waren; Gewänder aus kostbarem Byssos-Leinen
und solche aus roter Purpurwolle; ein Paar silbener Sandalen; ein
silbernes Affenweibchen mit seinem Jungen auf dem Schoß; Stein- und
Elfenbeingefäße verschiedenster Größen mit kostbarem
Öl, teilweise in Steinbockform; für den Harem goldene Armreife,
Halsketten und Ringe, Bronzespiegel und Dosen mit Augenschminke sowie
Kämme aus Elfenbein. Hocherfreut war der König über das
letzte Geschenk, das ihm überreicht wurde: 40 Minen (ca. 20 kg) Gold,
von dem die Rede ging, daß es in Ägypten „so häufig wie
Staub“ sei, und das er dringend für Restaurationsarbeiten in babylonischen
Tempeln benötigte. Allerdings sollte sich diese Freude als verfrüht
erweisen, worüber sich Burnaburiasch später in seinem Antwortschreiben
an Echnaton ausließ: „Die frühere Sendung Gold, die mir mein
Bruder gesandt hat, hat mein Bruder wohl nicht überprüft. |
Zahlreiche
umliegende
Regionen - so etwa im
Süden Nubien, im
Nord-
osten Syrien - waren
Ägypten tributpflichtig.
In dem Grab des könig-
lichen Schreibers Userhêt
(15. Jahrhundert v. Chr.)
werden ein Pferd und
ein
leichter Kriegswagen
mit-
geführt. |
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Der
Inhaber des
Grabes, aus dem
die Abbildungen
links stammen,
war Wesir und von
Amts wegen für
die Einziehung von
Abgaben und
Steuern aus den
eroberten Gebieten
zuständig
(Amarna - Zeit) |
Es war lediglich ein Beamter meines
Bruders, der sie gesiegelt und mir gesandt hat. Als ich die 40 Minen Gold,
die mir gebracht worden sind, in den Schmelzofen legte, kamen – ich schwöre
es – nur zehn Minen heraus.“
Nachdem alle Geschenke überreicht
und genügend bewundert worden waren, transportierte man sie in die
Schatzkammer ab. Burnaburiasch räusperte sich, wandte sich an Haja
und stellte fest: „Im Land deines Königs ist alles vorhanden und dein
König braucht überhaupt nichts. Ebenso ist in meinem Land alles
vorhanden und ich, für mein Teil, brauche ebenfalls überhaupt
nichts. Wir haben jedoch von früheren Königen seit langem bestehende
gute Beziehungen geerbt, weshalb wir uns gegenseitig Grüße senden
sollten. Dieselben Beziehungen sollen auch zwischen uns herrschen.“ Haja
nickte und Burnaburiasch fuhr fort: „Wie mir ja vorhin dargelegt worden
ist, ist die Reise beschwerlich, das Wasser ist knapp, und es ist jetzt
sehr heiß. Deshalb werde ich jetzt nicht viele Grußgeschenke
bringen lassen. Ich werde deinem König vier Minen prächtigen
Lapislazuli als Grußgeschenk senden. Zusätzlich werde ich deinem
König fünf Pferdegespanne senden. Sobald das Wetter wieder besser
wird, wird mein nächster Bote kommen und ich werde deinem König
viele schöne Grußgeschenke senden“. „Dieses Schlitzohr“, dachte
Haja, laut aber dankte er dem babylonischen König im Namen Echnatons
für seine Großzügigkeit.
Die Audienz wurde unterbrochen.
Der König zog sich in seine Privatgemächer zurück, um auszutreten.
Die Sklaven aus dem Vorraum brachten zur Erfrischung kühles Wasser.
Haja hatte Gelegenheit, mit dem mittannischen Boten, |
der immer noch im Vorraum wartete,
den neuesten diplomatischen Klatsch auszutauschen. Man unterhielt sich
in Babylonisch, der Diplomatensprache ganz Vorderasiens in jener Zeit.
Wie gut waren doch die Beziehungen zwischen Ägypten und Mittanni noch
vor kurzem gewesen! Als die Nachricht vom Tode des alten Pharao Amenophis
III. (1391-1353 v. Chr.) in Waschschukkanni, der mittannischen Hauptstadt,
eingetroffen war, hatte Tuschratta, der König von Mittanni, Trauer
verordnet und einen ganzen Tag lang nichts gegessen noch getrunken!
Tuschratta hatte an Teje, die trauernde
Witwe, und ihren Sohn und Nachfolger auf dem ägyptischen Thron, Echnaton,
geschrieben und seiner Hoffnung Ausdruck gegeben, das gute Verhältnis
zwischen beiden Staaten würde auch unter der neuen Regierung fortbestehen.
Doch nun hatte der Statuetten–Skandal eine diplomatische Eiszeit heraufbeschworen.
Massive Goldstatuetten von Tuschratta und seiner mit dem Pharao verheirateten
Tochter Taducheba hatte seinerzeit Amenophis III. dem Tuschratta versprochen.
Hatte er nicht sogar vollmundig gesagt: „Sprich nicht nur von Goldstatuetten.
Ich will Dir auch noch solche geben, die aus Lapislazuli sind“? Vor den
Augen der mittannischen Gesandten in Ägypten waren die Goldstatuetten
gegossen worden! Und dann, als das scheinbar fürstliche Geschenk nach
dem Regierungswechsel in Ägypten endlich in Waschschukkanni anlangte,
hatte sich herausgestellt, daß die Statuetten statt aus massivem
Gold lediglich aus einem mit Gold überzogenen Holzkern bestanden! |
Teje - Königin in Ägypten
Über die Ehefrau
von Amenophis III.
ist mehr bekannt als
über fast jede
andere Königin der
18. Dynastie. So
wissen wir, daß
sie nicht königlicher
Herkunft war, sondern
die Tochter
eines Provinznotabeln.
Auch ist sie
die erste Königin,
die bereits zu
Lebzeiten des Pharaos
eine wichtige
Rolle spielte und regelmäßig
neben
ihm abgebildet wurde(rechts
ein Relief-
fragment aus Theben,
um 1364 v. Chr.). |
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Tuschratta hatte sich brüskiert
gefühlt und Mane, den ägyptischen Chefdiplomaten in Mittanni,
festgehalten. Echnaton hatte mit einem Hausarrest der mittannischen Botschafter
in Achetaten geantwortet, was von Tuschratta jedoch lediglich mit einem
Achselzucken kommentiert worden war: „Was sind Boten? Wenn sie nicht Vögel
sind, können sie denn fliehen und verschwinden?“ Dennoch hatte er
vorsichtshalber Kelija, seinen eigenen geschätzten Chefdiplomaten,
nicht nach Ägypten entsandt, sondern ihn durch dessen leichter zu
entbehrenden Onkel Masibadli ersetzt.
So unterhielten sich Haja und der
mittannische Gesandte eine Weile. Als Burnaburiasch, sichtlich erleichtert,
zurückkam, begab sich Haja wieder in den Thronsaal. Nun begann der
schwierigere Teil der Audienz: die Heiratsverhandlungen. Beide Seiten wünschten
eine Tochter des Verhandlungspartner ihrem Harem zuzugesellen, und beide
Seiten trachteten die Fehler zu vermeiden, die die jeweiligen Vorgänger
auf dem Thron, Kadaschmanenlil I. von Babylonien (1374-1360 v. Chr.) und
Amenophis III., seinerzeit begangen hatten. Nur zu gut waren die diplomatischen
Verwicklungen, die die Verheiratung der Schwester Kadaschmanenlils an Amenophis
III. und der Tochter des letzteren an ersteren mit sich gebracht hatten,
noch im Gedächtnis.
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Amenophis III.
1391-1352 v.Chr.
Der Sohn von Thutmosis
IV.
erbte ein Reich, dessen
Gren-
zen von Syrien bis in
den
Sudan reichten. Der Ideologie
zufolge war der Pharao
der
Herr der Welt. Auch wenn
dies
übertrieben war,
so waren die
internationalen Beziehungen
dieser Zeit doch ungewöhnlich
weit gespannt. |
Kadaschmanenlil hatte Amenophis
verdächtigt, seine Schwester sei in Ägypten an schlechter Behandlung
gestorben. Keiner seiner Boten könne bezeugen, daß sie noch
lebe: „Du fragst hier nach meiner Tochter zur Heirat, doch meine Schwester,
die mein Vater Dir gab, befindet sich schon bei Dir. Doch niemand hat gesehen,
ob sie noch lebt oder tot ist ... Vielleicht war die, die mein Bote sah,
die Tochter eines armen Mannes oder eines Kaschkäers oder eines Chanigalbatäers
oder vielleicht eine von Ugarit. Wer kann ihnen glauben? Sie machte ja
den Mund nicht auf! ... Meine Töchter, die an benachbarte Könige
verheiratet sind, wenn meine Boten dorthin kommen, sprechen sie mit ihnen,
und sie lassen mir ein Grußgeschenk bringen“. Amenophis hatte diesen
Vorwurf weit von sich gewiesen: „ Hast Du jemals einen Würdenträger
von Dir geschickt, der Deine Schwester kennt, der mit ihr sprechen und
sie identifizieren könnte? ... Die Männer, die Du gesandt hast,
waren Nobodies. Niemand unter ihnen war da, der sie kennt oder der ein
Vertrauter Deines Vaters war und der sie hätte identifizieren können
... Warum kannst Du mir nicht einen Deiner Würdenträger schicken,
der Dir die Wahrheit erzählen kann, nämlich das Wohlergehen Deiner
Schwester, die hier ist, und dann kannst Du dem glauben, der Ihre Quartiere
betritt und ihre Beziehung zum König sieht? ... Selbst wenn Deine
Schwester tot wäre, welchen Grund würde es geben, ihren Tod zu
verheimlichen und eine andere zu präsentieren?“Umgekehrt war Amenophis
von vorneherein abgeneigt gewesen, seine Tochter dem Babylonier zu überlassen:
„Seit undenklichen Zeiten ist keine Tochter des Königs von Ägypten
an jemanden gegeben worden.“ Die Argumentation mit der Tradition hatte
Kadaschmanenlil jedoch nicht gleich akzeptieren wollen: „Warum nicht? |
Du bist ein König: Du tust, was
Dir gefällt. Wenn Du eine Tochter geben würdest, wer würde
etwas sagen?“.
Dennoch hatte er dem Ägypter
ein Hintertürchen offen gelassen: „Es müssen doch schöne
Frauen, die erwachsenen Töchter von Jemanden, da sein. Schicke mir
eine schöne Frau, als ob sie Deine Tochter wäre. Wer würde
sagen „Sie ist nicht eine Königstochter!“?“ Nein, diesmal sollte alles
besser geregelt werden. Unter den zahlreichen Geschenken, die Haja mitgebracht
hatte, war auch eine Goldstatuette der ägyptischen Prinzessin gewesen,
so daß sich Burnaburiasch schon vorher ein Bild von ihr machen konnte.
Ja , sie war wirklich sehr schön! Doch das war nicht das Wichtigste:
bis aufs letzte Detail wurden die jeweiligen Mitgiften ausgehandelt. Und
selbst den Transport seiner Tochter wollte Burnaburiasch nicht dem Zufall
überlassen, weshalb er an Echnaton schrieb: „Wer soll sie zu Dir bringen?
Haja hat nur fünf Wagen. Soll man sie etwa in nur fünf Wagen
zu Dir transportieren? Wenn ich erlauben würde, daß sie unter
solchen Umständen von meinem Haus zu Dir gebracht wird, würden
die mir benachbarten Könige sagen „Sie haben die Tochter eines großen
Königs in nur fünf Wagen nach Ägypten transportiert.“ ...
Als mein Vater seine Tochter zu Deinem Vater bringen ließ, zogen
3000 Soldaten mit ... Was Haja, Deinen Magnaten, angeht, den Du zu mir
gesandt hast, die Wagen und Soldaten bei ihm sind zu wenig. Schicke viele
Wagen und Soldaten her, so daß Haja derjenige sein kann, der die
Prinzessin zu Dir bringt! Sende keinen anderen Magnaten her! Die Prinzessin
... soll nicht länger bei mir aufgehalten werden! Schicke die Wagen
und Soldaten, so daß man sie sofort transportieren kann! Wenn Du
sogar noch dieses Jahr Wagen und Soldaten schicken willst, soll schnellstens
ein Bote kommen und mich informieren!“
Nach zähen und erfolgreichen
Verhandlungen ging Hajas Audienz bei Burnaburiasch zu Ende. Am Abend war
Haja zu einem Bankett zu Ehren des ägyptischen Gesandten im Palast
geladen, bei dem man noch manches Detail würde besprechen können.
Doch schon jetzt zog man sich mit dem befriedigenden Gefühl, viel
für die guten Beziehung zwischen Ägypten und Babylonien getan
zu haben, zur Siesta zurück.
Die Hofschreiber hatten eifrig
protokolliert und verfassten später in Keilschrift auf Tontafeln Briefe
an Echnaton, in denen von der Audienz und den Verhandlungen anschaulich
berichtet wurde. Einige Wochen oder Monate später trafen diese Briefe
in der neugegründeten Hauptstadt Echnatons, Achetaten, ein und wurden
von ägyptischen Schreibern, die des Babylonischen mächtig waren,
verlesen. Danach wurden sie zusammen mit den Abschriften der Antworten
des Pharaos an den babylonischen Herrscher im königlichen Archiv gelagert.
Dort befanden sich ähnliche
Korrespondenzen mit den Königen von Assyrien, Mittanni, dem Hethiterreich,
Zypern, Byblos, Beirut, Tyros, Sidon, Jerusalem und zahlreichen kleineren
Fürsten ganz Syriens und Palästinas. Nach dem Tode Echnatons
verfiel Achetaten schnell und wurde zu einer Ruinenstätte. Etwa 3200
Jahre später, genauer im Herbst 1887 n. Chr., fand eine ägyptische
Bäuerin 300 km südlich von Kairo am Ostufer des Nils an der Stelle
des alten Achetatens, dem heutigen El-Amarna, bei Feldarbeiten die ersten
Tafeln wieder; weitere kamen bei den folgenden Raubgrabungen zutage. Heute
befinden sich die meisten dieser Tafeln im Voderasiatischen Museum in Berlin,
im British Museum in London sowie im ägyptischen Museum in Kairo und
gehören zu den prominentesten und meistgelesenen Dokumenten der modernen
Altorientalistik. Dank dieser „Amarna-Korrespondenz“ können wir die
internationale Diplomatie zwischen Vorderasien und Ägypten im 14.
Jahrhundert v. Chr. anschaulich schildern. Wenn auch die Rahmenhandlung
der Audienz Hajas beim babylonischen König erfunden ist, so stammen
doch sämtliche Details einschließlich aller namentlich genannten
Personen, der Wortwechsel zwischen dem (namentlich ungenannten) ägyptischen
Gesandten und Burnaburiasch sowie die anderen wörtlich wiedergegebenen,
hier leicht angepaßten Reden den Briefen Amenophis III. an Kadaschmanenlil
I., Burnaburiaschs II. an Echnaton und Tuschrattas an Teje und Echnaton. |
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Die Amarna-
Korrespondenz
1887 fand eine Bäuerin
im
heutigen el-Amarna bei
Feld-
arbeiten die ersten Tafeln
eines Archivs, das sich
als die
diplomatische Korrespondenz
von Amenophis III. und
Amenophis IV. herausstellen
sollte. Links die Kopie
der
Vorderseite eines Briefes
von
Burnaburiasch an den
Pharao,
in dem er von der Audienz
eines ägyptischen
Gesandten
berichtet. |
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