Als die ersten Europäer die Ruinen der uralten Städte
Mesopotamiens erkundeten, da fielen ihnen immer wieder mit einer seltsamen
keilförmigen Schrift versehene Gegenstände in die Hände.
Von Gefäßen über Mauerziegel, kissenförmige Tontäfelchen
und Prismen aus Ton bis zu großformatigen Tafeln und Inschriften
auf meterhohen Reliefplatten, wie auch auf riesigen Felsreliefs an unzugänglichen
Stellen, überall kündete diese Schrift von vergangener Größe
und versunkenem Ruhm.
Aber so schön und dekorativ sie auch anzusehen waren,
für die Wissenschaftler blieben die Tausende von Keilschriftquellen
stumm.
Wie wir heute wissen, ging die Kenntnis, wie diese geheimnisvolle
Schrift zu lesen und zu schreiben war, in den ersten Jahrhunderten nach
Christi Geburt verloren.
Entstanden hingegen war sie mehr als 3000 Jahre früher,
also vor ungefähr 5000 Jahren.
Aber am Anfang sah die Keilschrift weder nach Keilen noch
nach Schrift aus.
Die erste Aufzeichnung von Wissen im südlichen Mesopotamien
geschah vielmehr durch kleine Tonobjekte, sogenannte Tokens. Diese dienten
dazu, den Verwaltern Aufschluß über Warenmengen zu geben, also
eine sehr nüchterne Aufgabe. Somit hat die Schrift ihren Ursprung
in wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Mit dem Anwachsen des Handels und
der dabei bewegten Güter war das Gedächtnis des einzelnen Verwalters
schlicht überfordert, vor allem, wenn er beispielsweise sagen sollte,
welche Menge Schafe letztes Jahr geboren worden waren.
Damit diese Steinchen, die aller Wahrscheinlichkeit nach
jeweils für eine bestimmte Menge einer bestimmten Ware standen, nicht
verlorengingen, hüllte man sie in Ton ein, das gleiche Material, aus
dem schon damals Krüge geformt wurden und welches später allgemein
als Schreibmaterial Verwendung finden sollte.
Diese Tonhüllen hatten meist Kugelform. Da sie,
um die Steinchen zu zählen, zerbrochen werden mußten, kam irgendjemand
irgendwann auf die geniale Idee, für jeden Stein, der in der Kugel
war, ein Symbol auf die Außenseite zu ritzen. Damit war ein Zerbrechen
nur noch notwendig, wenn ganz sicher festgestellt werden mußte, wieviele
Steinchen vorhanden waren. Somit waren diese "Tonbullae", wie diese Hüllen
auch genannt werden, die ersten "Briefumschläge".
Die Tonoberfläche bot sich auch ideal dazu an, mit
einem Siegelabdruck nachzuweisen, wer für den Inhalt verantwortlich
war.
Im Lauf der Zeit wurde immer häufiger der Inhalt
der Bullae weggelassen, da die Information ja durch die Eindrücke
auf der Außenseite noch einmal vorhanden war. Dadurch konnten aus
den Kugeln flachere, kissenförmige Tafeln werden. Diese Form behielten
sie dann in der Mehrzahl über die Jahrtausende bis zum Ende der Keilschriftzeit.
Die eingedrückten und eingeritzten Zeichen, die
zu Beginn auf den Täfelchen zu finden waren, sahen nicht so sehr nach
Schrift aus, sondern eher nach Bildchen. Köpfe von Rindern, ein Fuß,
eine Trinkschale, zu Beginn war es recht leicht, die Bedeutung eines Zeichens
herauszufinden.
Andererseits konnten mit diesem System nur Gegenstände
dargestellt werden. Dies war anfangs auch nicht weiter schlimm, weil es
für die Listen, die in der Wirtschaft zu führen waren, ausreichte.
Aber die Probleme ließen nicht lange auf sich warten.
Und sie kamen in Form von Personennamen. In Mesopotamien haben schon zur
Zeit der Schrifterfindung nicht nur Sumerer, sondern auch Akkader und auch
Vertreter anderer Völker gelebt. Deren Namen ließen sich nicht
mit den Zeichen der sumerischen Wortschrift schreiben.
Wie die findigen sumerischen Schreiber dieses Problem
dennoch lösen konnten, erfahren Sie hier: Die
Erfindung der Silbenschrift
Beim Einritzen der Bilder in Ton brauchte man vergleichsweise
viel Zeit. Dies spielte wohl nicht so sehr eine Rolle, solange man nur
wenige Wortzeichen benutzte. Indem mit der Verwendung der Silbenschrift
mehr Zeichen geschrieben werden mußten, kürzten die Schreiber
ab. So ritzten sie eine Linie nicht mehr ein, sondern drückten den
Schreibgriffel der Länge nach ein, um eine Linie zu erzeugen. Da das
vordere Ende dabei tiefer in den Ton gedrückt wurde, hatte diese Linie
die Form eines Keils, welcher letztlich der Schrift ihren Namen gab.
In obiger Zeichnung können Sie diesen Prozess sehen.
Der Griffel, oft ein der Länge nach gespaltenes Schilfrohr, manchmal
aber auch aus wertvolleren Materialien, hat immer Kante, die in den Ton
gedrückt wurde. Durch den Winkel des Griffels zum Schreibmaterial
entsteht ein Abdruck wie in Abbildung 3. Die Assyriologen, die die Texte
lesen und auf Papier abschreiben, zeichnen jedoch die seitlichen Begrenzungen
nicht nach, sondern stellen den einzelnen Keil wie in der vierten Abbildung
dar. |